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Weinbauernhaus aus Retzstadt

Mainfranken - Frankenhöhe

Das Weinbauernhaus aus Retzstadt wurde 1668 erbaut. Der spezifische Weinbaucharakter zeigt sich am Kelterraum, wo der Wein gepresst wird, und am großen gewölbten Keller, in dem er lagert. Das Haus verweist auf einen gewissen Wohlstand der Besitzer, der mit der reichen Farbgebung innen und außen deutlich wird. Gut nachzuvollziehen ist die Farbigkeit des Fachwerks seit der Bauzeit bis ins frühe 18. Jahrhundert.


Eckdaten

Hausnummer:49
Ursprung:Retzstadt, Landkreis Main-Spessart
Bauepoche:1668 (Inschrift, Jahrringdatierung), Umbau 1700 (Inschrift)
Ausstellung:spätes 17. / frühes 18. Jahrhundert
Konstruktionsmethode:zweigeschossiger Fachwerkbau, Keller massiv, Satteldach mit Rinnenziegeldeckung
Abbau:1992
Aufbau:1992-1994
Baugruppe: Mainfranken - Frankenhöhe
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Besonderheiten

Aufwendige Innengestaltung

Im Innern haben sich auf weite Strecken die originalen Wandoberflächen erhalten, gezeigt werden dabei mehrere Zustände: die Fachwerkfarbigkeit der Bauzeit bis ins frühe 18. Jahrhundert, mit grauem Balkenanstrich, ockergelben und schwarzen Begleitern, zusätzliche Abfassung um Türen und Malereien; verputztes Fachwerk mit Resten von Malereien und Stuckdecke in der Unteren Stube, entstanden um 1700; darüber hinaus Spuren späterer farbiger Ausgestaltung der Stube von der Mitte des 18. Jahrhunderts (erstmals Schablonierungen!) bis hinauf in die 80er Jahre des 20. Jahrhunderts, als das Haus nur noch als Spielort für Kinder diente, sonst aber schon längst ungenutzt dem Verfall preisgegeben war.

 

Auffällige Außenfassade

Am Außenbau konnte der ursprüngliche Zustand des zuletzt völlig verputzten Hauses nur nach eingehender Spurensuche ermittelt und danach rekonstruiert werden. Auffallend sind hier – neben der Graufassung des am Giebel reichen Fachwerks – die vielen Schiebeläden, die dem Bau eine ungewohnte Note verleihen. Ihre Abdrücke (und damit Lage und Größe) waren auf Holz und Lehm noch auszumachen, mussten aber ansonsten völlig neu nach anderen Beispielen erstellt werden. Schiebeläden sind äußerst selten erhalten, noch die meisten finden sich im thüringisch-fränkischen Grenzgebiet, einzelne zwischen Windsheim und Würzburg. Seit der Mitte des 19. Jahrhunderts werden sie kaum mehr gebaut. In Mittelfranken scheinen sie fast unbekannt gewesen zu sein, hier waren seit dem späten Mittelalter Klappläden bekannt, die sich dann allgemein durchsetzten.


Beschreibung

Weinbau und Architektur

Die Bauweise in den mainfränkischen Weinbaudörfern weist eine große Vielfalt an Formen auf, der spezifische Weinbaucharakter wird aber stets durch zwei Punkte bestimmt: den Keller, in dem der Wein lagert, und die Kelter, also jener Raum, wo der Wein gepresst wird. Beim Weinbauernhaus aus Retzstadt, einer bedeutenden Weinbaugemeinde nördlich von Würzburg, finden sich beide unter einem Dach: die Kalter, wie es in Mainfranken heißt, steht im hinteren Hausteil, anschließend, ebenerdig zu erreichen, erstreckt sich der in den Hang gebaute hohe, tonnengewölbte Keller. Bis auf den Keller und die Außenwände des Kelterraums ist der gesamte zweistöckige Bau aus Fachwerk mit Lehmflechtwerkausfachungen errichtet.

 

Neubau kurz nach dem Dreißigjährigen Krieg

Erbaut wurde das Haus 1668, wie nicht nur eine Bauinschrift belegt, sondern auch der archivalische Nachweis, wonach 1667/68 der damalige Besitzer zehn Holzstämme aus dem Gemeindewald kaufte. Die Initialen »MGV« und »AGV«, die am mittleren Fachwerkständer des Obergeschosses neben dem Baujahr eingeschnitzt sind, verweisen auf das damalige Besitzerehepaar, Matthäus Gies Vebel und Anna Gies Vebel. Ein Vorfahr von Matthäus Gießübel (so die spätere Schreibweise) war Schultheiß, so dass zumindest von einem gewissen Wohlstand ausgegangen werden kann. Der Neubau 1667/68, relativ kurz nach dem Dreißigjährigen Krieg, der Retzstadt arg verwüstet hatte (darunter wohl auch diese Hofstelle, denn eine Grabung erbrachte Spuren eines Vorgängerbaus), legt dies ja auch nahe.

 

Der Kelterraum

Eine Beschreibung des Grundstücks 1759 gibt Hinweise auf den damaligen Gebäudebestand: „[…] mit einem 2 Stock hohen hauß, scheuer und stallung wohl bebaut, mit kalder [= Kelter(raum)] und weinkeller, auch schönen kuchengarthen vornen.“ Um 1830 wurde die Kelter aus dem Haus in die Scheune verlegt, der ursprüngliche Kelterraum unterteilt und in der einen Hälfte ein Stall untergebracht. Entsprechend heißt es um 1833 zum Gebäudebestand: „Ein Wohnhaus mit Scheuern, 4 Fach Schweineställe, Stallung, Gemüs und Baumgarten und Hofreit […] Das Haus ist 2 stöckig von Fachwerk, beide bewohnbar, im untern Stocke auch die Stallung, hinterm Haus ein gewölbter Keller, in der Scheuern eine Kelter.“ Beim Wiederaufbau im Museum wurde diese Veränderung rückgängig gemacht, die Kelter befindet sich wieder im Haus.

 

Ein besonderes Haus

Familie Gießübel blieb für fast zwei Jahrhunderte auf dem Hof – eine Seltenheit in Franken, wo die Besitzer häufig wechseln. Vielleicht ist dies mit ein Grund, warum im Haus so wenig umgebaut wurde. Neben dem Weinbau macht dieses hohe Maß an historischer, bauzeitlicher Bausubstanz die Besonderheit des Hauses aus. Fast alle bauzeitlichen Fachwerkwände wurden unversehrt ins Museum übertragen und auch vom Keller konnten wenigstens zwei große Mauerteile im originalen Verband übernommen werden. Das Retzstadter Haus hebt sich in seiner äußeren wie inneren Gestalt von den meisten anderen im Museum errichteten Häusern ab und lässt eine besondere, über ein Bauernhaus hinausgehende Bedeutung vermuten. Archivalisch finden sich diesbezüglich aber keinerlei Hinweise.


Bilder


Bilder vom Ursprung


Summary (English)

The Weinbauernhaus (winemaker's house) from Retzstadt, north of Würzburg, was built in 1668, as can be seen from the inscription. It illustrates the importance of viticulture in Main-Franconian villages. Notable features are the wine-press room and a large vaulted wine cellar. Evidence of its owners' relative affluence is in the ornamental use of colour, both inside and on the outside walls. The stucco ceiling in the living room is divided in two parts and decorated with Jesus ans Mary monograms. The paintwork on the timberframe can be traced back from the time it was built to the early 18th century.


Zugänglichkeit

Insgesamt:Note: 3

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